I. Wissenschaftliche Visualisierung

Diagramme, Daten- und Informationsgrafik




 
Olafur Eliasson, The endless study, 2005
3-Achsen-Harmonograph
 Mark Napier, 3dots, 2003. Java Applet / Website
Algorithmen simulieren physikalische Gesetze
 

     

Vielen interaktiven abstrakten Kunstwerken auf Web-Seiten oder als Apps für Smartphones sieht man ihre mathematisch-algorithmische Grundlage an. Sie basieren auf kleinen Programmen, die von den Künstlern in Programmiersprachen wie Java geschrieben wurden. Solche Programme lassen sich als Bildautomaten verstehen, in denen ein visueller Ausgangszustand und die Parameter der Zustandsveränderung vorgegeben sind. Die Bildveränderungen werden durch den User ausgelöst, mit der Computermaus oder auf Touchscreens mit dem Finger, manchmal auch durch das Verschieben von virtuellen Reglern oder durch die Eingabe von Zahlwerten. Bei 'Hand Held Devices' wie Smartphones und Tablet-Computern kommen vermehrt auch Sensoren und die eingebaute Kamera mit ins ästhetische Spiel. So enthalten die neusten Phones und Pads von Apple als Sensoren und Input-Schnittstellen einen Multi-Touch Screen, zwei Kameras und ein Mikrophon, Proximity and Ambient Light Sensoren, ein 3-Achsen Accelerometer, ein 3-Achsen Gyroscope und ein Magnetometer. Eine solche Ausstattung von bildgebenden Geräten mit Sensoren und Kameras kennt man bisher vor allem aus der Naturwissenschaft und Medizin. Seit den späten 60er Jahren experimentieren auch Künstler mit dem Einsatz von Sensoren, Mikrophonen und Kameras in interaktiven Kunstwerken. Dabei handelt es sich in der Regel um aufwändig instrumentierte, grossräumige Installationen. Die IPhones und IPads dagegen verbinden ihre komplexe Funktionalität mit der Miniaturisierung ihrer materiellen Basis. Hier geht es darum, die Grösse des Bildschirms in einem sinnvollen Verhältnis zur Reduktion der Masse des mobilen Geräts zu halten.


 


Rainer Kohlberger, 2011. App für Tablet Computer
Das Kamerabild wird in Echtzeit abstrahiert.
Björk, Biophilia, 2011. Image and Code: Cord Snibbe
Visualisierung von Tonharmonien
     

Vergleicht man die Geschichte der Wissenschaftsbilder und die moderne Kunstgeschichte, stösst man auf wechselseitige Verbindungen.  Im 19.Jahrhundert wurden mechanische Zeichenvorrichtungen wie der Harmonograph konstruiert, mit deren Hilfe sich streng geometrische Kurvenbilder erzeugen liessen. Der Naturwissenschaftler Etienne-Jules Marey baute die Graphische Methode aus, Mathematiker und Ökonomen entwickelten die Informationsgrafik des Diagramms. Künstler wie Marcel Duchamp, Robert Morris, Mariko Mori und Olafur Eliasson haben sich in ihrem Werk explizit auf diese wissenschaftliche Bildtradition bezogen, implizit aber auch der Surrealismus mit dem Konzept der Ecriture Automatique oder Jackson Pollock mit seinem Action Painting und Jean Tinguely mit seinen Zeichenmaschinen.

 


     Diagramm 1769  Myogramm einer Hysterikerin,1885   Pulsaufzeichnung am Handgelenk, 19.Jh.



   

Kapitel des Bildkatalogs

a) Zur Geschichte der wissenschaftlichen Diagramme und Informationsgrafik
b) Diagramme aus der Geschichte der Religion, Philosophie, Literatur und Musik
c) Wissenschaftliche Aufzeichnungsmethoden in der Kunst
d) Mechanische Zeichnung und Computergrafik
e) Codierung und Abstraktionsverfahren
f) Abstrakte Visualisierung und indexikalische Repräsentation
g) Scientific Visualization

a) Zur Geschichte der wissenschaftlichen Diagramme und Informationsgrafik
Hier werden Beispiele wissenschaftlicher Diagramme aus dem 18. Jh. gezeigt, etwa ein frühes Diagramm des Mathematikers und Philosophen Johann Heinrich Lambert, der als einer der Erfinder der exakten grafischen Darstellung von Daten gilt, weiter Diagramme von Charles Darwin und Etienne-Jules Marey aus dem 19.Jh., dazu Bildbeispiele aus Aufsätzen der Wissenschaftstheoretiker Hans-Jörg Rheinberger und Bruno Latour.

b) Diagramme aus der Geschichte der Religion, Philosophie, Literatur und Musik
Diagramme haben auch eine Geschichte ausserhalb der exakten Wissenschaften. Früh wurden sie zur Darstellung religiös-metaphysischer Weltbilder entworfen, etwa in der mystischen Lehre der Kabbala. In Laurence Sternes Roman "Tristram Shandy" (um 1760) findet man ein Liniendiagramm für den Erzählverlauf . Gezeigt wird weiter Nietzsches Bildformel für ein dynamisches Schema der Zeit und Aby Warburgs Modellzeichnung einer persönlichen Geographie. Daneben setzen wir ein Notationssystem des Komponisten Anestis Logothetis.  

c) Wissenschaftliche Aufzeichnungsmethoden in der Kunst des 20.Jh.
Seit Marcel Duchamp werden in der bildenden Kunst naturwissenschaftliche Messmethoden und Aufzeichungssysteme zitiert und parodiert. Ähnlich wie bei der graphischen Methode Mareys  entstehen in diesen Kunstwerken abstrakte graphische Formen,  die "unbewusste" Kräfte zur Ursache haben: Muskeln und Organe, Maschinen und physikalische Fallkräfte, Baumäste und Wind.  Gezeigt werden Werkbeispiele von Duchamp, Breton, Pollock und Tinguely, von Robert Morris, Brian O'Doherty, Robert Watts und Mariko Mori.

d) Mechanische Zeichnung und Computergrafik
In den 1960er Jahren benutzten Künstler mechanische Vorrichtungen und elektronisceh Impulse, um abstrakte Grafiken herzustellen. In dieser Zeit entstanden auch die ersten Computergrafiken. Jahrzenhnte später findet man in der Netzkunst und in Apps für Smartphones auf Algorithmen basierende Graphiken, deren Entstehung vom Betrachter gesteuert werden kann. Zeitgenössische Künstler verwenden aber auch die mechanischen Techniken des 19.Jh. um geometrische Zeichnungen herzustellen, die frappant an Computergrafik erinnern.

e) Codierung. Punkte und Linien
Das Prinzip der Codierung besteht darin, dass bestimmten Farb-und Formwerten konventionelle Bedeutungen zugeordnet sind. Um die grafischen Muster lesen und verstehen zu können, muss man die Bedeutung der Zeichen kennen oder, wie bei den QR-Codes, über eine entsprechende Decodierungssoftware verfügen. Neben Kunstwerken mit unterschiedlichen Codierungsverfahren werden auf der Seite auch drei Werkbeispiele gezeigt, in denen Künstler bestehende Bilder durch rationale Zerlegungsverfahren in abstrakte Farblinienmuster transformiert haben.


f) Abstrakte Visualisierung und indexikalische Repräsentation
g) Scientific Visualization